Tag: Kinderschutz

Kindesmißhandler waren einmal selbst mißhandelte Kinder

Vorwort

Kindesmord durch eigene Eltern sollte ursprünglich der Titel dieses Bandes sein, um den Aufrufcharakter unverkennbar allen Lesern zu übermitteln. Jenseits aller Psychologie sind die Autoren schlechthin ergriffen von der Tatsache, daß - wie in diesem Band beschrieben - ein sieben Jahre altes Mädchen von der eigenen Mutter nachts aus dem Fenster gestoßen wird. Es klammert sich mit seinen Händchen noch am Fenstersims mit bittenden Worten fest, doch die Mutter löst Finger um Finger, bis das Kind in die Tiefe stürzt, wo es dann zerschmettert liegen bleibt.

... (mehr) ...

Wenn sie nicht hinschauen

Das Wichtigste ist zunächst einmal, dass Eltern ihre Kinder mit allem, was sie zeigen, ernst nehmen. Und zwar uneingeschränkt. Kein Kind oder Jugendlicher verhält sich willentlich auffällig. Viele Eltern fühlen sich persönlich beleidigt oder angegangen, wenn ihre Kinder ausbrechen oder sich einer Gruppe anschließen, deren Ideale häufig konträr zum Elternhaus sind. Wenn Eltern begreifen, dass ihre Kinder re-agieren und nicht nur agieren, erfolgt bei ihnen ein Richtungswechsel hin zu ihrer eigenen Person und Geschichte. Und dann können sie sich entscheiden, zu schauen, was denn aus ihrer Geschichte vielleicht so belastend ist, dass es bis zu ihrem Kind gelangt und dort weiter wirksam ist. Viele Erwachsenen wollen vielleicht gar nicht für sich hinschauen, sie haben Angst, dass Altes hochkommt, meinen, sie hätten mit etwas abgeschlossen usw.

... (mehr) ...

A 35-Year Follow-up of the Harvard Mastery of Stress Study

“91% percent of participants who did not perceive themselves to have had a warm relationship with their mothers (assessed during college) had diagnosed diseases in midlife (including coronary artery disease, hypertension, duodenal ulcer, and alcoholism), as compared to 45% of participants who perceived themselves to have had a warm relationship with their mothers. A similar association between perceived warmth and closeness and future illness was obtained for fathers.”

“82% of the participants who reported tolerant or strained relationships with their fathers had significant health issues in midlife, compared to 50% of those who had warm or close relationships with their fathers.

... (mehr) ...

Psychotherapie und Strafverfahren - kein Widerspruch

Psychotherapie und Strafprozess – geht das überhaupt?

Es wird mitunter beschreiben, dass sich Gerichte und Staatsanwaltschaften für eine Unterbindung von psychotherapeutischer Behandlung vor Abschluss des Strafverfahrens aussprechen. Argumentativ werde dabei darauf abgestellt, dass durch eine Behandlung die eine Zeugenaussage begleitenden Emotionen abgeschwächt würden, worunter in der Folge die Glaubhaftigkeit zu leiden drohe, sodass die Traumatisierung des Opfers schlichtweg nicht mehr zu spüren sei. Weiterhin werde befürchtet, dass sich die Erinnerungen des Opfers im Verlauf der Therapie in relevanter Weise verändern oder neue Erinnerungen erstmalig auftauchen (Schemmel & Volbert, 2021).

... (mehr) ...

Wahrnehmungsverzerrung bei Helfern

Heute wissen wir aus der Forschung über Erwachsene, die als Kinder misshandelt wurden, dass gerade sie häufig dazu neigen, ihre Eltern zu idealisieren und sich immer noch die Liebe von ihnen erhoffen, die sie früher nicht bekommen konnten. Sie rationalisieren die Gewalt („Mir haben die Schläge nicht geschadet“) und beschuldigen sich selbst („Ich hatte es auch verdient“…). Diese Rationalisierungen und Selbstbeschuldigungen schützen vor dem Schmerz, abgelehnt worden zu sein und sind Versuche, dem Unverständlichen einen Sinn zu geben und einen Rest Kontrolle über die Situation empfinden zu können. Sie sind zugleich aber nur oberflächliche Maskierungen. Auf einer tieferen Ebene ist immer noch das verletzte, zurückgewiesene Kind lebendig, das nun, konfrontiert mit der Gewalt anderer Eltern gegen ihre Kinder, seine Stimme wieder hören lässt. Darüber kann es zu Wahrnehmungsverzerrungen bei Helfern mit ähnlichen Kindheitserfahrungen kommen. Typische Wahrnehmungsverzerrungen in der Begegnung mit vernachlässigenden, missbrauchenden, misshandelnden Eltern können dann z. B. sein:

... (mehr) ...

Das verbannte Wissen

Je eindeutiger ich in meinen Äußerungen werde, um so mehr lerne ich von den Reaktionen anderer. Manche Reaktionen fordern mich heraus und regen mich zum Weiterdenken und Präzisieren an. So erging es mir auch mit den häufig geäußerten Fragen nach der Unschuld der Eltern, die sich etwa so zusammenfassen lassen: »Aber Sie meinen doch nicht, die Eltern seien schuldig, wenn sie ihr Kind aus Verzweiflung mißbrauchen? Sie haben doch selbst geschrieben, daß die Eltern unter dem Zwang stehen, die unbewußten Traumen ihrer Kindheit auf ihre eigenen Kinder zu übertragen, und deshalb ihre Kinder mißhandeln, vernachlässigen, sexuell mißbrauchen.«

... (mehr) ...

Die allermeisten Eltern möchten gern mit ihrem Kind anders umgehen

Die allermeisten Eltern möchten gern mit ihrem Kind anders umgehen, als sie es selbst in ihrer Kindheit erfahren haben, und die eigene schmerzliche Kindheit auf keinen Fall wiederholen. Bedauerlicherweise haben sie jedoch oft kaum eine Chance, sich anders zu verhalten, da sie keine positiven alternativen Erfahrungen gemacht haben oder auch über keine Ressourcen verfügen, auf die sie zurück greifen könnten: »Es ist unter Umständen ein sehr schmerzliches Erlebnis, vem Eltern feststellen, dass sie - trotz guter Absichten - in Situationen, in denen ihr Kind etwa einen Wutanfall bekommt, ihre eigenen Gefühle und Affekte nicht mehr kontrollieren können und ›ausrasten‹« (Brisch 2015b, S. 36).

... (mehr) ...

Übersehene Kinder wollen vor allem eins

“Übersehene Kinder” wollen vor allem eins: Nicht mehr länger als engste betroffene Angehörige psychisch kranker Elternteile übersehen werden! Weder in ihren aktuellen Beziehungen zu Menschen noch von der Fachwelt oder der Gesellschaft. Sie wollen sich wiederfinden in den gesellschaftlichen, fachlichen und feministischen Diskursen zu den Themen (gesellschaftliche) Macht- und Gewaltverhältnisse, Traumatisierung und ihre Folgen, Rolle der Mütter, Väter und Familien, Psychische Erkrankungen, inklusive der Bereiche psychiatrische Praxis, Prävention, Therapie und Opferentschädigung. Sie wollen, dass über psychische, physische und sexuelle Gewalt und ihre (Traumatisierungs-) Folgen mehr Aufklärung erfolgt sowie Bewusstsein und Wissen in der Gesellschaft entsteht - bei den Betroffenen, aber auch in therapeutischen und juristischen Zusammenhängen.

... (mehr) ...