Vom Opfer zum Täter
Die Details, die sich im Laufe des Tatgeschehens abbilden, sind meist Wiederholungen des Täterverhaltens (Handlungen, Gesten, verbale Ausdrücke), die bei den eigenen traumatischen Erlebnissen erfahren wurden. Darüber hinaus beinhalten Profilähnlichkeiten auch strukturell ähnliche Orte des Geschehens und den Gebrauch vergleichbarer Waffen (bzw. Dinge, mit denen Gewalt zugefügt wurde). Details der Tat spiegeln dabei bei Tätern, die sowohl misshandelt als auch sexuell missbraucht wurden, meist Details der verschiedenen traumatischen Situationen vermischt wider.
Unter den Pbn mit vergleichbarer Traumageschichte, die ausschließlich durch psychische Misshandlung, nicht jedoch durch sexuellen Missbrauch in ihrer frühen Kindheit traumatisiert wurden, zeigen sich demnach die höchsten Entsprechungen zwischen eigener erlittener Gewalt und der Ausübung bestimmter Gewalthandlungen im Tatgeschehen. Hier sind nahezu identische Wiederholungen der vormaligen Täterhandlungen innerhalb einer höchst vergleichbaren Kulisse anzutreffen. […]
Männliche Täter agieren zumeist in direkt sexueller Weise, beispielsweise indem sie Details ihres eigenen sexuellen Missbrauchs als Täter an ihrem Opfer wiederholen. Dabei treten jedoch zusätzlich und parallel Details auf, die Elemente des Misshandlungsgeschehens abbilden. Frauen hingegen erschaffen Situationen, in denen sie sich als potentielles Opfer eines sexuell motivierten Angriffs erleben. Auch Frauen reinszenieren als Täterin sexuelle Traumadetails – allerdings weniger offenkundig. […]
Die überwiegende Mehrheit der Inhaftierten in Justizvollzugsanstalten erhalten keine adäquate psychotherapeutische Behandlung während ihrer Haftzeit, die es ihnen erlauben würde, traumatische Lebensereignisse sowie die begangene Straftat zumindest ansatzweise zu bearbeiten. […] Darüber hinaus zielen intramurale Behandlungsprogramme häufig auf die kurzfristige Veränderung unerwünschter Handlungsweisen (z.B. Anti-Aggressions-Trainings), ohne jedoch zugrunde liegende psychische Wirkmechanismen genauer zu beleuchten. Die vorliegende Arbeit hat zeigen können, dass solche Wirkmechanismen sehr häufig in frühkindlicher (Komplex-)Traumatisierung ihren Ursprung haben. Wird dem wichtigen Aspekt der Traumabearbeitung keine Beachtung geschenkt, so sind erneute Reinszenierungen im Sinne einer Tendenz zur Wiederholung der traumatischen Erfahrungen abzusehen.
Ein “Absitzen” der Strafe allein führt bei Inhaftierten also nicht zur “Besserung”, auch wenn der Betroffene eine ehrlich gemeinte Einsicht in das Unrecht der begangenen Tat entwickelt. […] Hier wird die Forderung nach einer Kausalen Psychotherapie laut, welche das Ziel verfolgt, die ursächlichen Bedingungen einer psychischen Störung zu bearbeiten und zu beseitigen, anstatt lediglich die äußere Erscheinungsform, die Symptome der Störung anzugehen und zu überformen.