Die allermeisten Eltern möchten gern mit ihrem Kind anders umgehen
Die allermeisten Eltern möchten gern mit ihrem Kind anders umgehen, als sie es selbst in ihrer Kindheit erfahren haben, und die eigene schmerzliche Kindheit auf keinen Fall wiederholen. Bedauerlicherweise haben sie jedoch oft kaum eine Chance, sich anders zu verhalten, da sie keine positiven alternativen Erfahrungen gemacht haben oder auch über keine Ressourcen verfügen, auf die sie zurück greifen könnten: »Es ist unter Umständen ein sehr schmerzliches Erlebnis, vem Eltern feststellen, dass sie - trotz guter Absichten - in Situationen, in denen ihr Kind etwa einen Wutanfall bekommt, ihre eigenen Gefühle und Affekte nicht mehr kontrollieren können und ›ausrasten‹« (Brisch 2015b, S. 36).
Die Eltern werden durch alte Erfahrungen affektiv verstrickt und durch das aktuelle Verhalten ihrer Kinder getriggert. Deshalb sind kognitive Vorsätze wie »Ich mache mit meinem Kind alles besser« oder »Ich werde mein Kind niemals schlagen« unwirksam. Denn die Erfahrungen der Eltern stammen aus einer Zeit, in der ihre Erinnerungen und Sprache noch nicht in einer bewusstseinsnahen Form abgespeichert wurden: »Vielmehr werden die frühen Erfahrungen in sogenannten ›prozedualen‹ Erinnerungsspuren abgebildet, d. h. sie werden körpernah abgespeichert und der Körper erinnert sich an die Erinnerungen mit entsprechenden körperlichen Reaktionen« (Brisch 2015b, S. 37 f.).
Bei der transgenerationalen Weitergabe, insbesondere von unsicheren oder sogar desorganisierten Bindungsmustern, handelt es sich um eine Art Schneeballeffekt. »Die direkte Vererbung von Risikogenen, aber auch die direkte Weitergabe epigenetischer Veränderungen über Generationen können die Aufrechterhaltung nicht optimalen Verhaltens und hiermit auch das Risiko für psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen verstärken« (Strüber 2016, S. 238). Das verstärkt die Dynamik im Kinderschutz um ein Vielfaches.
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“»Dass der Stress sich bei noch vorhandenen Selbstvorwürfen nicht reduziert, ist im Grunde ja auch logisch, denn warum sollte es einem besser gehen, solange man sich selbst einen Vorwurf macht, quasi einen Krieg gegen sich selbst führt« (Bohne 2021, S. 65).
[…] Nach Bohne führt ein Selbstvorwurf viel eher zu einer latenten oder ganz bewussten Form der Selbstbestrafung, wie z. B.: »Ich bin dem einfach nicht gewachsen« oder »Ich habe schon immer in wichtigen Dingen, wenn es wirklich drauf ankommt, versagt«. […] Bereits ein als harmlos empfundenes »Mit-sich-selbst-Hadern« kann eine Beziehungs- und somit Lösungsblockade darstellen. Denn Selbstvorwürfe scheinen auch unser Belohnungssystem neuronal zu blockieren und unglücklicherweise ein »internales Bestrafungssystem« zu befeuern. Dies scheint eine Ursache zu sein, weshalb Selbstvorwürfe vorhandenen Stress und belastende Emotionen - auch und besonders bei Kinderschutzkräften - so wirksam konservieren können. Da diese Lösungsblockade Auswirkungen auf die Selbstbeziehung aber auch Beziehung zu anderen hat, ist sie hochwirksam und sehr belastend für die »Eigentümer«.”
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»Kinder verhalten sich stets loyal zu ihren Eltern« (Cohen, 2014, S. 23). […]
In der Folge dreht sich die Problemschraube immer weiter und letztlich entsteht eine Dynamik, in der Kinderschutzkräfte in der betreuenden Einrichtung ähnlich ratlos und »inkompetent« dastehen wie die Eltern auch. Dadurch schafft das Kind den Ausgleich und entlastet seine Eltern von dem »Image der schlechten Eltern«.
Diese Dynamik trifft ebenso für die Eltern der Kinder im Kinderschutz zu, die durch ihr eigenes Versagen in der Erziehung wiederum ihre Loyalität zu den eigenen Eltern unterstreichen. Würden sie es besser machen, würden sie indirekt ihre eigenen Eltern kritisieren und damit ihre Loyalität zu ihnen verletzen (vgl. Conen 2014, S. 25).