Kindesmißhandler waren einmal selbst mißhandelte Kinder
Vorwort
Kindesmord durch eigene Eltern sollte ursprünglich der Titel dieses Bandes sein, um den Aufrufcharakter unverkennbar allen Lesern zu übermitteln. Jenseits aller Psychologie sind die Autoren schlechthin ergriffen von der Tatsache, daß - wie in diesem Band beschrieben - ein sieben Jahre altes Mädchen von der eigenen Mutter nachts aus dem Fenster gestoßen wird. Es klammert sich mit seinen Händchen noch am Fenstersims mit bittenden Worten fest, doch die Mutter löst Finger um Finger, bis das Kind in die Tiefe stürzt, wo es dann zerschmettert liegen bleibt.
Der Vater schläft ruhig nebenan und will von nichts etwas gehört haben. Über Stunden exerziert ein anderer Vater mit seinem zweieinhalb Jahre alten Sohn, läßt ihn Kniebeugen machen, bis er vor Erschöpfung nicht mehr weiter kann. Dann wirft er ihn in das Bett der Mutter, die dabei anwesend ist. Als das Kind noch wimmert, nimmt er sein Koppel und gibt ihm die tödlichen Schläge auf den Kopf, während das Kind noch wimmert: »Bitte hör doch auf, Papi.«
Es wäre einfach, die Offentlichkeit mit einer Klischeediagnose, wie Schizophrenie der Eltern, zu beruhigen, und das hätte man gewiß bei der allgemeinen Verdrängungshaltung unserer Gesellschaft Kindesmißhandlungen gegenüber allzu gerne getan, wenn es möglich gewesen wäre.
Aber in keinem der über 100 vorliegenden Fälle konnte diese Diagnose gestellt werden. Die Hilflosigkeit der Schulpsychiatrie kommt zum Beispiel auch dadurch zum Ausdruck, daß eine Mutter, die ihr dreieinhalb Jahre altes Kind aus dem Fenster geworfen hatte, das aber wie durch ein Wunder leben geblieben war und ihr dann mit ausgestreckten Armchen schreiend entgegenlief, bei Einweisung in die Klinik die Auflage erhielt, solange in der psychiatrischen Klinik zu bleiben, bis das Kind sich gegen sie wehren könne. Nachdem kurze Zeit vergangen war, erhielt die Mutter wahllos Wochenendurlaub, um das Kind zu besuchen. Als das nun ältere Kind von anderen Kindern darauf angesprochen wurde, daß seine Mutter es einmal aus dem Fenster geworfen hätte, antwortete es, seine Mutter würde so etwas nie tun. Offenbar kann das Kind nur durch totale Verdrangung dieses grausamen Mordversuchs durch die eigene Mutter psychisch überleben, ähnlich wie bei einem anderen Fall, der in diesem Buch durch die behandelnde Kinderanalytikerin beschrieben ist: Ein sechs Jahre altes Mädchen wurde an seinem Geburtstag von der Mutter mit Kopfkissen am Schreien gehindert, während die Mutter ihm mit einem Brotmesser den Hals aufschnitt. Sie legte den Kehlkopfknorpel frei, ohne allerdings Blutgefäße zu treffen. Dieses Kind erlebte die Tat nur als eine Bestrafung durch Wehtun, eine Bestrafung nämlich, weil die Mutter aufgebracht war, daß das Kind ihren jugoslawischen Vater, der am Abend zu ihr kommen wollte, liebte, während die Mutter nach der Trennung diesen Mann haßte.
Es wird in dieser Schrift deutlich werden, daß Menschen ihre in der Kindheit erfahrenen Mißhandlungen in der Regel verdrängen, statt dessen aber schwere Persönlichkeitsschädigungen entwickeln. Man kann es auf die Formel bringen, daß kindesmißhandelnde Eltern selbst in der Kindheit von ihren Eltern mißhandelt wurden oder besser gesagt: Kindesmißhandler waren einmal selbst mißhandelte Kinder. Dies habe ich bereits im Jahre 1969 dargestellt in einer Arbeit über den abrupten Durchbruch destruktiver Aggression und ausgeführt, daß dieses als ein psychiatrisches Problem behandelbar und verstehbar ist. Wir konnten folgende Ergebnisse über die Situation der Kindesmißhandlung erarbeiten:
- Als grundlegendes Motiv zur Kindesmißhandlung muß das Verlassen-worden-Sein des Täters durch seinen Partner gelten, ein Verlassen-worden-Sein, das der Täter schon in frühester Kindheit in seiner eigenen Familie erlebt und erfahren hat.
Forderungen an ihn selbst erlebt der Kindesmißhandler als ein erneutes Verlassenwerden.
- Wir konnten drei Formen unterscheiden, wie sich die Wut über das Verlassen-worden-Sein des Täters ausdrückt: a) das blindwütige Ausagieren der Wut, in der das Opfer brutal ermordet wird, b) passives Zuschauen, Vernachlässigung und Desinteresse mit Todesfolge dem Opfer gegenüber und c) eine vom Täter nicht aggressiv wahrgenommene emotional abgespaltene Handhabung des Opfers mit Todesfolge, z. B. Duschen mit heißem Wasser.