Wut, Schuld und Scham

Manchmal ist niemand in der Nähe, der uns empathisch zuhören kann. Dann müssen wir uns selbst auf eine Weise Gehör schenken, die Kontakt zu unseren Bedürfnissen herstellt. Die meisten von uns sind mit sich selbst jedoch weitaus kritischer als mit anderen.

Scham, Schuld und Wut führen dazu, dass wir uns von uns selbst und anderen getrennt fühlen. Daher ist es wichtig, einen Weg zu finden, um den Kontakt wiederherzustellen.

Besonders Scham bringt uns dazu, uns unserer selbst schmerzlich bewusst zu werden. Das Gefühl der Getrenntheit und die quälenden Gedanken, ausgeschlossen zu sein, können überwältigend sein. Dann ist es hilfreich und wertvoll, einen inneren Dialog zu haben, der uns stützt.

Wenn ich mir selbst mit Empathie zuhöre, läuft das fast genauso ab, als wenn ich einer anderen Person empathisch lausche. Zunächst gestehe ich mir ein, welche Beurteilungen und Forderungen ich in Bezug auf mich selbst oder jemand anders hege.

Dann konzentriere ich mich darauf, welche Gefühle und Bedürfnisse sich dahinter verbergen. Dadurch wird mir meist klar, wie ich weiter vorgehen möchte.

Trauern ohne „unterzugehen":

Sobald wir Kontakt zu unserem Inneren aufgenommen haben, kommt ganz natürlich ein Bedauern unseres „Fehlers" auf. Wir Menschen verfügen über eine angeborene Fürsorge für unsere Mitmenschen und Scham ist eine ganz gewöhnliche Reaktion darauf, dass wir Grenzen übertreten haben. Wenn wir die Scham als Wegweiser nutzen, können wir mit ihrer Hilfe Klarheit darüber erlangen, worüber zu trauern wichtig und hilfreich für uns wäre.

Es heißt, man lerne aus seinen „Irrtümern", aber ich sehe viele von uns immer wieder die gleichen Fehler machen. Ob wir etwas aus ihnen lernen oder nicht, hängt davon ab, wie wir mit „Fehlern" umgehen. Um nicht an Urteilen über uns selbst festzuhalten und um aus einem „Fehler" etwas Neues zu lernen, ist es hilfreich, das Geschehene auf eine effektive Weise zu „betrauern". Erst wenn wir auf eine Weise trauern, die uns in Kontakt zu unseren Bedürfnissen bringt, können wir daraus lernen.

Wenn wir Scham verwandeln wollen, ist es essenziell, Kontakt aufzunehmen und herauszufinden, welche Bedürfnisse nicht erfüllt wurden, als wir das taten, wofür wir uns noch immer schämen. Dann nehmen wir Kontakt zu den Bedürfnissen auf, die wir mit unserem Handeln zu erfüllen versuchten.

Wir erlauben uns, die Emotionen zu spüren, die der Kontakt zu diesen Bedürfnissen hervorruft. Wenn die Gefühle mehr Raum erhalten als unsere Urteile, beginnt das Trauern und führt dazu, dass wir besser mit der Situation abschließen können. Auf diese Weise zu trauern hilft uns außerdem, in Zukunft Handlungsalternativen zu sehen, die unsere und fremde Bedürfnisse besser berücksichtigen.

So lange Wut, Scham und Schuld uns in ihrem eisernen Griff halten, sind wir nicht daran interessiert, den Blick zu heben. Wir schaffen nichts Neues, es geht nur um uns und wie schrecklich es für uns ist, so zu fühlen. Wenn wir diesen Emotionen Macht über unser Inneres einräumen, sind wir jedoch leicht zu manipulieren und zu kontrollieren. Erst wenn wir die Gefühle als Schlüssel zu tieferen Räumen in unserem Inneren verwenden, öffnen wir uns für uns selbst und für andere.

► Liv Larsson: Wut, Schuld und Scham (2012)

Liv Larsson   |   Tags: emotionen, gfk